Wie alles anfing.
Eine Diagnose führte dazu, dass wir zu zweit in unserem Zuhause auf dem Land nicht alt werden wollten. Zur selben Zeit suchte ein Freund nach Lösungen, wie es mit seiner alten Fabrik in der Fürther Oststadt weitergehen könnte. Mit einem knappen Dutzend FreundInnen planten wir den Umbau der alten Backsteingebäude, um gemeinsam darin wohnen zu können. Das Projekt ward geboren und nahm 2015 an Fahrt auf. Unsere ArchitektInnen waren skeptisch: unsere Ideen seien sehr teuer oder gar nicht umsetzbar. Hier gehe es um ein Stadtgrundstück. Angesichts der Wohnungsnot müsse verdichtet werden, mindestens sieben Stockwerke. Aus den ursprünglichen zehn Wohnungen wurden schlussendlich fast sechzig mit ganz unterschiedlichen BewohnerInnen. Es waren tolle Menschen, die dazu kamen – gemeinsam haben wir es geschafft. Dass es geklappt hat, ist ein kleines Wunder.
Erna Kiehnlein
Wohnhöhlen brauchen auch Grün
Der Hinterhof unserer alten Wohnung war eine Betonwüste. Prädikat: „Schlimmster Garten des Grauens in ganz GoHo“, Loggia oder Balkon gab es nicht. Umso mehr freuen wir uns, jetzt in unser Wohnprojekt zu ziehen. Dort grünt und blüht es auf den Galeriegängen. Kürzlich hatten wir sogar Besuch von einem „Kolibri“ – nun ja nicht ganz, es war „nur“ ein Taubenschwänzchen, aber unsere Dreijährige war begeistert. Das ist sie auch von den Tomätchen und Erdbeeren, die sie im Vorbeigehen mal eben „snacken“ kann. Mal sehen, wie grün alles in zehn Jahren sein wird …
Florian Täuber
Warum wir bei uns einen Dschungel haben
Im Lockdown starteten meinen Tochter und ich ein Kunstprojekt: ihr Hochbett ein Baumhaus. Auf sechs Quadratmetern Vorhang sollten Tiere zum Leben erweckt werden, Blumen wachsen und sich Lianen in den Himmel winden. Eine kleine Collage diente als grobe Skizze für unser Mammut-Projekt. Dabei stieß ich auf die Dschungeltapete hinter mir. Ich sagte meinem Mann, dass wir diese nun brauchen. „Brauchen wir die unbedingt?“, fragte er. „Die ist ganz schön teuer für eine Tapete!“ Da ich mich aber bis in beide Ohren in die Dschungeltapete verliebt hatte, berappte ich die fünfhundertfünfzig Euro für sieben Meter Tapete; und tapezierte das erste Mal in meinem Leben. Da war ich ganz schön aufgeregt. Was, wenn ich die neue Wand versaue? Wenn es uns am Ende doch nicht gefällt? Glücklicherweise habe ich mich durchgesetzt. Unser Zimmer gewann dadurch an Tiefe und ich wache jeden Morgen im Dschungel auf und genieße das beruhigende Grün. Mein Mann hat während seiner HomeOfficeArbeitszeit den besten „Ausblick“. Und wir sind nun alle sehr glücklich damit. Ach ja, und das gesamte Dschungel- Kunstprojekt mit unserer Tochter ist uns am Ende auch gut geglückt – von der Dr.-Mack-Straße könnt ihr einen Blick darauf erhaschen…
Kein Einfamilienhaus
Wir passen nicht in ein Einfamilien- oder Reihenhaus hinter Vorhänge, Zäune, Mülltonnen. In der Spiegelfabrik wohnen wir in einem kleinen Dorf inmitten der Stadt. In warmen Sommernächten sitzen wir vor unserer Wohnung auf der Galerie. Nachbarn kommen vorbei, wir spielen Carcassonne und plaudern; und unser 13-jähriger Sohn ist stolz, weil er gegen uns Erwachsene gewonnen hat. Die über vierzig Kinder in der Spiegelfabrik besuchen sich gegenseitig, treffen sich in den Höfen und Gärten zum Spielen.
Andrea Pfänder
wohnen – werkeln – wohlfühlen
Von der Vision vom Wohnen und Bauen in Gemeinschaft hin zum Wohnen und weiter Bauen an der Gemeinschaft – werkeln, diskutieren, feiern, Ideen spinnen, lachen, streiten, gemütlich beisammen sitzen, sich helfen und aufeinander aufpassen – die Spiegelfabrik ist mein zuhause geworden.
Kathrin Alex
Ein Lebensabenteuer mit glücklichem Ausgang
Meine Frau Martina und ich stießen 2014 zu einer kleinen Gruppe, die gemeinsam bauen und zusammen wohnen wollte. Sieben Jahre Lebensabenteuer standen uns bevor, bis wir endlich einziehen konnten. Manchmal haben wir Millionen Euros einfach durchgewunken und uns dann an der Fensterform verhakt. Es gab unzählige durchwachte Nächte, wo ich dachte: Jetzt stürzen wir ab! Aber jetzt wohnen wir in der Spiegelfabrik.
Natürlich menschelt es bei 150 Leuten unter einem Dach. Fast alle sind über die Jahre an Bord geblieben. Die Vielfalt ist spannend, die Empathie spürbar und alle geben ihre Talente für unsere Nachbarschaft. Vor kurzem waren wir mit unserer afghanischen Flüchtlingsfamilie und unserer äthiopischen Familie im Tiergarten. Wie viel Freude war da beim Streicheln der Ziegen im Kinderzoo, dem gemeinsamen Picknick, der Suche nach den im Gebüsch versteckten Tieren… Da dachte ich wieder. Es hat sich gelohnt.
Rave, oder was?
Eine heiße Sommernacht in der Spiegelfabrik. Die Tür meiner Wohnung ist geöffnet, damit ein wenig Frischluft reinzieht. Im Reggae-Rhythmus schnipple ich eine Zucchini. Da spaziert mein Nachbar auf dem Laubengang vorbei, „Rave, oder was, Leo?“, fragt er. Denn trotz der Dunkelheit trage ich eine Sonnenbrille. Allerdings nicht, weil ich besonders cool bin. Tags zuvor habe ich meine normale Brille in der U-Bahn liegen lassen. Die Sonnenbrille ist die einzig verbliebene Brille mit Sehstärke.
Leonhard F. Seidl
Planschbecken
Da war ein Gewusel vor meiner Tür, die Nachbarin klingelt und redet und zeigt … sie bläst ein Planschbecken vor meinem Fenster auf, vor ihrer Haustür ist kein Platz. Die Kinder stürzen sich hinein, sogar kleine Babys. Es freut mich so. In Eritrea gab es so etwas nicht, nur eine Plastikschüssel um die Kinder zu baden.
Ghidey Weidemichael
Gesammelt von Ulrike Castor (Fotos) und Ursula Bierschenk (Texte) 2022